SPARRAUCHEN

In den ersten Nachkriegsjahren hatten wir es als Raucher nicht leicht. Ich hatte etwas Glück. Durch meine Tätigkeit als Modelltischler im VEB GUß Gubener Eisenwerke bekam ich neben der Schwerarbeiter-Lebensmittelkarte auch zusätzlich sogenannten Bergarbeiter-Schnaps und -Zigaretten.

Monatlich gab es damals eine große Packung (100 Stück) Sorte 1. Später gab es dann auch die qualitativ etwas bessere Cabinet. Obwohl die Zigaretten aus heutiger Sicht grässlich schmeckten, waren sie für einen starken Raucher doch eine willkommene Gabe. Aber sie reichten natürlich nicht lange; und es gab nicht wenige, die für die Stillung ihrer Nikotinsucht sogar auf ihr Essen verzichteten und ihre Lebensmittelkarten gegen Zigaretten eintauschten. Auch Kippensammeln war zur damaligen Zeit gang und gäbe und galt in keiner Weise als ehrenrührig. Wer viel Geld hatte, und das waren damals wenige, kaufte sich die Glimmstängel auf dem Schwarzmarkt. Wer noch Wertgegenstände besaß, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten, wie Uhren, Schmuck, Bleikristall, Porzellan und ähnliches, konnte sie in dem Aufkaufgeschäft links hinter der Egelneißebrücke gegen russische Zigaretten Marke Hundekopf eintauschen. Doch das wurden auch zunehmend weniger.
Deshalb war der private Tabakanbau weit verbreitet. Jeder lobte seine Sorte in den höchsten Tönen. Diejenigen, welche den stärkeren Geschmack liebten, zogen den rundblättrigen Bauerntabak vor, und solche, die den leichten Shag-Geschmack vorzogen, bauten lieber den langblättrigen Virginia-Tabak an.
Jeder schwor auch auf seine ganz persönliche Fermentierungsmethode. Als Gipfel der Tabakveredelung galt, die getrockneten Tabakblätter mit Pflaumensaft zu beträufeln und längere Zeit, verpackt in einer Blechdose, in einem Misthaufen reifen zu lassen.
Wer Tabak anbaute und aufbereitete, musste ihn natürlich auch schneiden, um ihn zu rauchen. So war es nur zu verständlich, dass die Produktion von Tabakschneidemaschinen Hochkonjunktur hatte. Die unterschiedlichsten Systeme wurden hergestellt. So gab es zum Beispiel Maschinen, die nach dem Prinzip einer Häckselmaschine arbeiteten. Das Ergebnis war ein recht grober Schnitt und es musste viel Kraft aufgewendet werden, um die Rolle aus Tabakblättern zu zerkleinern.
Besser waren die Maschinen, bei denen zwei Walzen mit ineinandergreifenden Scheiben wie Kämme gegeneinander rotierten, und Tabakblatt um Tabakblatt in besten Feinschnitt verwandelten. Man brauchte auch nicht so viel Kraft, wie bei den ,Häckselmaschinen‘, aber es dauerte natürlich länger. Doch das Ergebnis war eindeutig von besserer Qualität.
Am Verbreitesten war aber doch die Methode ,Stullenbrett und scharfes Messer‘, denn nicht jeder konnte sich eine Tabakschneidemaschine leisten. Mein Freund Manfred war ein As auf diesem Gebiet. Er machte im Handbetrieb einen Tabak, der vom gekauften nicht zu unterscheiden und bestens zum Zigarettendrehen geeignet war.
Um mit ihren Zigaretten länger hauszuhalten, rauchten viele immer nur eine halbe Zigarette. Das führte aber auch zu zwei Kippen, die zwar wieder in die Tabakschachtel zurückgeführt wurden (heute würden wir recyceln dazu sagen), aber den Geschmack verschlechterten und das Risiko des Lungenkrebses erhöhten.
Die Not machte uns erfinderisch und so kamen wir, Manni und ich, auf die Idee des SPARRAUCHENS.
Das Prinzip war, wie jede geniale Erfindung, recht einfach: Eine Zigarettenspitze wurde auf einen Ständer montiert, an dem an zwei eingeschraubten Fahrradventilen Ventilgummischläuche angebracht waren; ähnlich einer orientalischen Wasserpfeife, nur ohne Wasser und mit zwei Schläuchen. So konnten zwei Mann eine Zigarette rauchen und es blieb keine Kippe übrig.
Wir rauchten also SPARSAM!!!
Am Sonnabend beim Tanz im Feldschlösschen testeten wir die Wirkung unserer Erfindung. Lässig luden wir unseren Sparraucher mit einer Zigarette, entzündeten sie und rauchten sie genüsslich.
Das Aufsehen, welches wir damit erregten, war überwältigend. Viele unserer Freunde, aber auch uns völlig Fremde, bettelten förmlich darum, einmal mitrauchen zu können. Das konnte aber nicht auf unsere Kosten gehen, und so setzte sich folgendes Tauschprinzip durch: Jeder, der mit unserem Sparraucher mitrauchen wollte, musste dafür eine Zigarette zur Verfügung stellen. So brachte uns unser Gerät doppelten Nutzen. Einmal sparten wir beim rauchen unserer eigenen Zigaretten. Zum anderen verhalf es uns dazu, auf Kosten anderer mitzurauchen.
Dieses unerwartete, für uns positive Ergebnis unsrer Erfindung, brachte uns auf eine neue Idee. Pfiffig, wie wir waren, entwickelten wir unseren Apparat zu unserem Nutzen weiter.
Erstens wurde er künstlerisch ausgestaltet, um seine Anziehungskraft auf potentielle Kunden zu erhöhen. Der Zigarettenaufnahme diente bei der Neuentwicklung ein großer Würfel, der auf die Spitze gestellt, von einem grazilen Ständer getragen wurde. Zweitens waren jetzt drei Ventilgummianschlüsse möglich. Dadurch konnten Manni und ich jetzt gemeinsam mit einem Kunden mitrauchen. Drittens schließlich machten wir uns eine Eigenart unseres Sparrauchers zunutze, die nur wir kannten. Das Gerät funktionierte nur, wenn alle Beteiligten gleichzeitig am Mundstück ihrer Schläuche saugten, oder wenn diejenigen, die Pause machten, ihr Mundstück mit der Fingerkuppe verschlossen. Sonst wurde kein Zigarettenrauch, sondern nur Nebenluft eingeatmet. Da nur wir das wussten, bekam unser Mitrauchinteressent von seiner Zigarette in der Regel nur wenig ab; denn wenn er sein Mundstück verschlossen hielt, rauchten wir beide kräftig, und wenn er rauchen wollte, ließen wir stets unbemerkt unsere Mundstücke offen.
Man könnte unser damaliges Tun mit dem Tom Savoyers aus dem Roman von Mark Twain: ,Tom Savoyers Abenteuer‘ vergleichen. Er sollte zur Strafe einen Zaun streichen. Es gelang ihm aber, die Strafarbeit zu einem einträglichen Geschäft umzuwandeln. Er ließ andere Kinder, die auch gerne einmal Streichen wollten, dies gegen ein entsprechendes Geschenk tun; und es bewarben sich dafür so viele Interessenten, dass der Zaun hätte ruhig länger sein können.
Auch wir konnten uns vor Anwärtern auf unseren Sparraucher kaum retten. So brachte es u n s Nutzen, dass wir a n d e r e n Spaß bereiteten.
vorherige SeiteSeite 122 von 164nächste Seite