IRMA

Irma war eine adrette junge Frau. Sie war brünett, groß und schlank, und das Auffallendste an ihr war ein Leberfleck hinter dem linken Ohr. Durch ihr gesetztes Auftreten hob sie sich angenehm von den jungen Gänschen ab, die sich oft recht albern benahmen. Dadurch wirkte sie aber in gewisser Weise unnahbar.
Wenn sie ins Feldschlösschen zum Tanzen kam, war sie stets in Begleitung ihres Freundes, eines breitschultrigen Hünen, der als Hilfspolizist tätig war. Zwei Dinge waren bei ihm bemerkenswert: Er trank gern und viel und er war krankhaft eifersüchtig.
Sie gefiel mir! Durch ihre betonte Fraulichkeit wirkte sie damals auf mich in besonderer Art anziehend. Doch wie es schien, hatte ich kaum Aussichten, bei ihr jemals erfolgreich zu sein.
Eines Tages kamen sie und ihr Freund getrennt ins Feldschlösschen. Das fiel auf und bot Stoff zu Spekulationen. Die Frage war, hat er sie oder hat sie ihn verlassen?
Da Irma sich zu einigen anderen Mädchen an den Tisch gesetzt hatte und ihn keines Blickes würdigte, er aber mit seinen Bekannten an der Theke stand, unablässig zu ihr hinstarrte und übermäßig trank, war anzunehmen: Sie hatte sich von ihm getrennt. Vielleicht waren ihr seine dauernden Eifersuchtsszenen und seine alkoholisierten Besitzansprüche über geworden.
Ich nutzte meine Chance und holte sie mehrmals zum Tanz. Sie tanzte gut!
Es dauerte gar nicht lange, und ihr Freund pöbelte uns auf der Tanzfläche an: „Bürschchen, lass die Finger von meiner Freundin, oder ich breche dir alle Knochen. Und du Flittchen, höre auf, hier alle Männer wild zu machen“.
„Lass ihn in Ruhe, er hat dir nichts getan. Und mir hast du gar nichts mehr zu befehlen, verstanden!“ fuhr sie ihm in die Parade.
Ihr Auftreten stärkte in mir das Gefühl, ich hätte eine neue Eroberung gemacht. Doch, wie ich später schmerzhaft erkannte, irrte ich mich da gewaltig. In Wirklichkeit flirtete sie nur mit mir, um ihm einen Denkzettel zu verpassen. Vielleicht glaubte sie, ihn dadurch von seiner maßlosen Trinkerei abzubringen und von seiner krankhaften Eifersucht zu heilen. Wer kennt schon die Absichten einer Frau!?
Sie trieb auf alle Fälle die Sache auf die Spitze! Am Ende des letzten Tanzes fragte sie mich: „Hast du Lust, mich nach Hause zu begleiten?“
„Aber gerne! Das ist doch selbstverständlich!“, nutzte ich galant meine Chance, wobei ich innerlich frohlockte.
Bis zu ihrer Wohnung im Westring war es nicht weit.
Als ich sie an der Haustür küssen wollte, wehrte sie ab.
„Es ist wohl besser, wir bleiben nicht hier unten stehen“, gab sie zu bedenken und begründete damit gleichzeitig ihr Verhalten, „denn wie ich ihn kenne, wird er uns bestimmt nachspionieren, und wenn er uns hier zusammen sieht, macht er ganz sicher Ärger!“
Wie recht sie hatte!
Kaum waren wir in ihrer Wohnung, randalierte der Kerl tatsächlich vor ihrer Haustür und verlangte lautstark, hinein gelassen zu werden.
Irma hatte vorsorglich kein Licht gemacht. Hinter der Gardine konnten wir beobachten, wie er vor dem Haus fluchend hin und her torkelte und immer wieder gegen die Tür hämmerte.
Wir hatten uns im Dunkeln auf die Couch gesetzt und verhielten uns mucksmäuschenstill.
Mit Irma allein in ihrer Wohnung!
Unter normalen Umständen hätte ich mir nichts besseres wünschen können! Und nun dieses Debakel! Vor Aufregung klopfte mir das Herz bis zum Halse. Was für eine verfahrene Situation!
Unter diesen Umständen war an ein Techtelmechtel mit Irma nicht zu denken.
Deshalb war ich ganz froh, als sie flüsternd vorschlug: „Du kannst unmöglich bleiben. Der Kerl ist unberechenbar. Wenn er dich hier erwischt, ist er zu allem fähig. Wir müssen warten, bis er verschwunden ist, dann solltest du schnell das Haus verlassen. Um mich brauchst du dich nicht sorgen, ich werde mit ihm schon fertig.“
Ich räumte kampflos das Feld. Bevor ich davon schlich, bekam ich von ihr noch einen Kuss zum Abschied, als Trostpflaster sozusagen, denn es gab kein Wiedersehen!
Was für ein Reinfall für mich! Jeder wird verstehen, dass ich meinen Freunden von dieser Blamage nichts erzählt habe.
Irma hatte sich bald danach mit ihrem Freund wieder versöhnt, was voraus zu sehen war, und beide haben wenig später Guben verlassen.
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