BLUTARMUT

Ich war als Kind ein sommersprossiges, blasses, mageres Bürschchen. Meine Mama machte sich Sorgen, ich könnte an Blutarmut leiden. Deshalb überlegte sie, was sie dagegen tun könnte. Sie hatte gehört, gequirltes Ei mit Zucker sei gut gegen Blutarmut. Also bekam ich so etwas als vorbeugende Medizin vorgesetzt. Doch mir schmeckte dieses labbrige Zeug nicht. Es war fad-glibberig und widerlich süß.

Es half weder schimpfen noch gut zureden, ich bekam den Schlabber nicht hinunter. Jeder Schluck, den ich zu trinken versuchte, erzeugte einen solchen Brechreiz, dass mir beim Würgen die Tränen in die Augen traten.
Doch meine Mama gab nicht so schnell auf!
Mit allerhand Tricks versuchte sie, mir doch noch in irgendeiner Form gequirltes Ei mit Zucker zu verabreichen.
Ich trank gerne Malzbier. Diese Vorliebe von mir versuchte meine Mama in raffinierter Weise zu nutzen. Sie rührte das gequirlte Zucker-Ei in das Malzbier, um mich rein zu legen. Scheinheilig kam sie dann mit der Malzbierflasche zu mir, und war bemüht, mir das Malzbier als etwas ganz besonderes schmackhaft zu machen.
„Es gibt jetzt ganz neues Malzbier“, sagte sie zu mir, „es schmeckt besser, als das alte, aber es schäumt etwas mehr. Es ist extra für Kinder gemacht. Komm, probiere mal“. Dabei gab sie mir die geöffnete Flasche, damit ich daraus trinke.
Doch ich war misstrauisch. Vorsichtig nahm ich einen Schluck. Angewidert spuckte ich ihn aber gleich wieder aus.
„Ne, ne, Mama“, sagte ich vorwurfsvoll zu meiner Mutter, „das Malzbier mag ich nicht, da ist ja gequirltes Ei drin. Du weißt doch, wenn ich so etwas trinke, muss ich gleich kotzen“.
Meine Mama musste erkennen: Auch mit Tricks war mir nicht beizukommen. Sie verzichtete deshalb künftig darauf, mir gequirltes Ei in irgendeiner Form schmackhaft zu machen.
Auch heute noch muss ich mich schütteln, wenn ich nur an gequirltes Ei mit Zucker denke.
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