ICH LERNE GITARRE SPIELEN

Ich besaß eine diatonische Ziehharmonika, die auf F- und G-Dur gestimmt war. Damit hatte ich so gut wie keine Chance, mit meinem Freund Günter, der exzellent Akkordeon und Klavier spielte, gemeinsam irgendwo aufzutreten, denn die Schlager der damaligen Zeit waren selten in F- oder G-Dur gesetzt.
Deshalb reifte in mir der Wunsch, mir eine Gitarre anzuschaffen, denn Akkordeon und Gitarre wären eine gute Besetzung für Tanzmusik der kleinen Form gewesen.
1947 gab es in Guben nur ein Musikaliengeschäft. Es befand sich in der heutigen Berliner Straße 37, provisorisch in einer Wohnung eingerichtet. Das war in dem Hause, in dem bis 1945 auch unser Hausarzt, Dr. Schmidt, praktizierte.

Das renovierte Haus, Berliner Strasse 37. Aufgenommen im Mai 2006

Das Angebot an Musikinstrumenten war für die damalige Zeit recht passabel. Selbst der Korridor hing voller Instrumente. Ich weiß nicht mehr, ob mich damals die Inhaberin der Musikhandlung, Frau Laste, oder die Verkäuferin, Frau Schmidt bediente, aber was mir an verschiedenen Gitarren vorgelegt wurde, verwirrte mich schon etwas. Da gab es einfache, preiswerte Wandergitarren, klangvolle, aber sehr teure Konzertgitarren, verschiedene, vom Preis her sehr unterschiedliche Plektrum-Gitarren und sogar eine Hawaii-Gitarre.
Sie sagten mir alle nicht zu, denn ich wollte keine Zupf-, sondern eine Schlaggitarre. Verstohlen lächeln belehrte mich die Verkäuferin, dass eine Plektrum-Gitarre eine Schlaggitarre wäre, denn sie würde ja mit einem Plektrum, einem Hornplättchen geschlagen.
Nach langem Überlegen entschied ich mich für eine, für meine Begriffe recht ansehnliche, braun gebeizte Plektrum-Gitarre mit einem perlmutterimitierten Schlagschutz, damit man den Korpus nicht mit dem Plättchen beschädigte. Sie war mit einem Preis von 70,00 Reichsmark für mich gerade noch erschwinglich. Die Verkäuferin hatte mir für meine Gitarre auch eine Schutzhülle mit Tragegriff angeboten. Dafür hatte ich aber nicht das Geld. Deshalb nähte mir meine Mutter aus der Zeltbahn, die ich aus Gefangenschaft mitgebracht hatte, ein entsprechendes Behältnis.
Eine Gitarre hatte ich nun, eine Gitarrenschule auch! Aber um das Instrument richtig zum Klingen zu bringen, fehlte mir jede Voraussetzung. Alle meine Selbstversuche blieben stümperhaft und klangen grässlich. Ich sah mich also notgedrungen nach einem Gitarrenlehrer um. Es war aber gar nicht so einfach, einen zu finden, dessen Honorarforderungen meinem Geldbeutel angepasst waren.
Schließlich landete ich bei Dieter Vogt, damals Oberschul-Abiturient, der in seiner Freizeit bei einer Tanzkapelle in der Sprucke Posaune und Gitarre spielte.
Mein damaliger Gitarrenlehrer Dieter Vogt
Für ein Honorar von 5,00 Mark pro Stunde erklärte er sich bereit, mich in die Geheimnisse des Schlaggitarre Spielens einzuweihen.
Er hatte es sich sicher einfacher vor-gestellt, als es war; ich kannte ja als einfacher Volksschüler nicht einmal Noten. Doch er tat, was er konnte, und ich bemühte mich auch redlich.
Ich hatte wöchentlich einmal eine Stunde theoretischen und praktischen Unterricht, wobei zu meinem Schrecken zu Beginn die Theorie überwog. Aus der Notenkunde und der Harmonielehre schwirrte mir der Kopf von solchen Be-griffen, wie: Taktlänge, Notenwert, Violinen- und Bassschlüssel, Dur und Moll, Oktave, große und kleine Terz, Tonika, Subdominante und Dominante, Septime und None, Dreiklang, Quintenzirkel usw. usw.
Da machte mir das praktische Üben natürlich mehr Spaß. Das war selbstverständlich auch nicht problemlos. Schwierigkeiten bereitete mir anfangs das Stimmen der Gitarre. Auch bei Barré-Griffen wollten meine Finger nicht so, wie sie sollten.
Zum Glück waren in der Tanzmusik für die Schlaggitarre die Akkorde nicht in Noten gesetzt, sondern mit Buchstaben benannt und taktmäßig mit einem Schrägstrich über die Notenlinien gezeichnet.
Die Griffe dazu paukte ich, bis sich Blasen an den Fingerspitzen bildeten. Dieter verriet mir ein probates Mittel dafür.
„Du musst dir nachts ein mit Urin getränktes Läppchen um die Fingerspitzen wickeln“, war sein Rat, „das hilft garantiert!“
Und es half wirklich! Bald hatte ich Hornhaut an den Fingerspitzen der linken Hand.
Nach und nach hatte ich mir die Grundkenntnisse angeeignet und die Akkorde klangen sauber und klar. Deshalb erlaubte mir Dieter hin und wieder, wenn er in der Kapelle in der Sprucke spielte, seine Gitarre zu benutzen und mitzuspielen. Da hatte ich bald mehr Freude dran, als zu tanzen. Und es hob auch ungemein das Selbstbewusstsein, in dieser Weise öffentlich aufzutreten.
„Ich soll am 8. März zu einer Frauentagsfeier mit meinem Akkordeon spielen, hast du nicht Lust, mit zu kommen und mich mit deiner Gitarre zu begleiten?“, fragte mich mein Freund Günter eines Tages.
Natürlich war ich Feuer und Flamme.
Es wurde aber für mich kein großer Erfolg. Günter spielte ohne Noten. Ich war deshalb darauf angewiesen, die Akkorde auf meiner Gitarre nach dem Gehör zu spielen, aber das wollte mir nicht so richtig gelingen. Günter war also gezwungen, mir, während er spielte, die entsprechenden Begleitakkorde anzusagen. Zwei Tanzstücke hielten wir das durch, dann war Günter die Lust vergangen. Auch ich war deprimiert. Resigniert packte ich meine Gitarre ein und überließ Günter wieder seine Rolle als Alleinunterhalter.
Da ich bald darauf zur Gewerkschaftsschule delegiert wurde, fehlte mir die notwendige Zeit, um mein Gitarrenspiel zu vervollkommnen. Lange Zeit hing das Instrument ungenutzt am Garderobenhaken und verstaubte. Schließlich habe ich die Gitarre, wenn auch mit etwas Wehmut im Herzen, einem Freund verkauft.
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