ICH WERDE GEWERKSCHAFTSFUNKTIONÄR

Der Landesvorstand Brandenburg der Industriegewerkschaft (IG) Metall hatte alle jungen Gewerkschaftsmitglieder der Gubener Betriebe zu einer außerordentlichen Zusammenkunft eingeladen.
Erwartungsvoll saß ich mit rund 40 anderen Metallarbeiterlehrlinge und Junggesellen im Hinterzimmer des Kaffees in der Frankfurter Straße. In einer ausliegenden Anwesenheitsliste hatte jeder von uns vermerkt, wie er heißt, wie alt er ist, welchen Beruf er ausübt und in welchem Betrieb er arbeitet.
Ein Instrukteur sprach, etwas zu lange, wie man an den gelangweilten Gesichtern der Anwesenden erkennen konnte, über die Bedeutung der Jugendarbeit in der IG Metall und die Notwendigkeit, auch in Guben eine Jugendkommission zu gründen, welche die Interessen der Jugendlichen in den Betrieben wahrnimmt.
Dann forderte er zur Diskussion auf.
Doch wie so oft in solchen Versammlungen herrschte tiefes Schweigen. Jeder schaute betreten nach unten oder verstohlen zum Nachbarn, ob der vielleicht etwas sagen würde. Doch keiner der Anwesenden meldete sich.
Der Instrukteur kannte das, und reagierte entsprechend: „Nur keine falsche Scham, Kollegen. Ihr werdet doch sicher zu unserem Vorschlag, auch in Guben eine Interessenvertretung der jungen IG Metall ? Mitglieder zu schaffen, eine Meinung haben. ? Nicht! ? Vielleicht gibt es irgendwelche Fragen? ? Auch nicht! ? Na gut, wenn es nichts dazu zu sagen gibt, dann sollten wir keine lange Pause machen und uns jetzt damit beschäftigen, wer hier in Guben den Vorsitzenden der Ortsjugend-kommission der IG Metall machen könnte! ? Möchte sich jemand von euch freiwillig dazu melden, diese Funktion zu übernehmen!?“
Erwartungsvolle Stille, doch niemand meldete sich,
„Da sich niemand von selbst zur Verfügung stellt, solltet ihr überlegen, wen ihr in der Lage findet, diese Aufgabe auszuüben, und entsprechende Vorschläge machen“, kam die nächste Forderung des Vertreters des Landesvorstands der IG Metall.
Auch hierzu gab es keine Reaktion aus der Versammlung. Zwar wurde da und dort untereinander getuschelt, aber namentliche Vorschläge wurden nicht gemacht.
„Wenn es von euch keine Vorschläge gibt, dann werden wohl wir euch jemanden vorschlagen müssen, den wir für befähigt halte, eine solche Funktion auszuüben. Wir haben uns dazu vorher die Anwesenheitsliste angesehen. Wir finden, der Kollege Werner Krause aus dem VEB GUS Gubener Eisenwerke hätte die Voraussetzungen, ein solches Amt zu übernehmen!“
Erschrocken schaute ich auf!
Verdammter Mist, wieso sind die gerade auf mich gekommen, durchfuhr es mich heiß. Mein Versuch, gegen diesen Vorschlag zu protestieren, ging aber im zustimmenden Beifall der anderen unter. Zufrieden, selbst nicht vorgeschlagen worden zu sein, stimmten alle dafür, dass ich diese Funktion übernehme. Obwohl ich erst noch zaghaft versuchte, den bitteren Kelch von mir abzuwenden, war ich innerlich doch stolz darauf, für eine solche Aufgabe ausgewählt worden zu sein. Ich ließ mich noch ein wenig bitten, stimmte aber schließlich zu. Einstimmig wurde ich am 4. April 1948 zum Vorsitzenden der Ortsjugendkommission der IG Metall in Guben gewählt. Etwas später wurde ich in dieser Funktion als Mitglied in den Ortsvorstand der IG Metall kooptiert.
Diese Versammlung bildete einen Wendepunkt in meinem Leben. Sie begründete meine künftige Entwicklung als politisch aktiver Mensch und Mitgestalter einer, am Ende sehr widerspruchsvollen, neuen Zeit.
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