UMZUG INS GROSSE HAUS

Seit wir 1935 nach Guben in das kleine Häuschen in der Grünstrasse 1 gezogen waren, hatte sich im großen Haus einiges geändert. Wegen Umzug oder Tod wohnten dort nicht mehr die Witwen Emma Anders und Else Driesener, sowie die Arbeiter Herbert und Max Girke und Karl Schich.

Dafür waren neu eingezogen die Familien der Arbeiter Hermann Ortelbach, Richard Plagemann und Alfred Schönknecht.
Auch meine Eltern hatten sich für eine leer werdende Wohnung im großen Haus beworben und sie 1938 erhalten. Sie befand sich im Parterre mit Fenstern zum Garten und zur Strasse. Sie war räumlich günstiger und hatte auch ein Zimmer mehr. Den dunklen Flur hatten wir zusammen mit der Familie Hoffmann, das heißt, vom Treppenhaus ging unsere gemeinsame Korridortür zu einem quadratischen kleinen Vorraum, von dem es rechts in die Wohnung der Familie Hoffmann ging und von dem links geradeaus ein langer schmaler Korridor zu unserer Wohnung führte.

Mama schaut aus dem Küchenfenster
Der zusätzliche Raum ermöglichte es meinen Eltern, sich jetzt ein getrenntes Wohn- und Schlafzimmer einzurichten, was auch die Anschaffung neuer Möbel zur Folge hatte. Für das Wohnzimmer waren das eine Couch, ein Ausziehtisch und vier gepolsterte Stühle. Was das Schlafzimmer betraf, ging für mich endlich ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung. Mein altes Drahtgestell von Kinderbett, in dem ich bisher mit meinen 10 Jahren immer noch geschlafen hatte, wurde ausrangiert. Dafür bekam ich ein normales, Eiche furniertes, Holzbett mit Feder-boden und Matratze. (Was für ein wunderbares neues Schlaf-gefühl!)
Die alten Küchenmöbel blieben, konnten aber räumlich günstiger gestellt werden. Gleich vorn rechts hinter der Küchentür stand der eine Küchenschrank.
Danach folgte der Küchentisch mit zwei Stühlen. An der gegenüberliegenden Wand, gleich rechts in der Ecke, befand sich der Hahn der Wasserleitung mit gusseisernem Ausguss darunter. Daneben stand der zweite Küchenschrank. Den Abschluss bildete das Küchenfenster zum Garten. Unter dem Fenster stand die hölzerne Truhe, in der mein Vater sein Schuhmacherwerkzeug aufbewahrte. Davor, links an der Wand, hatte meine Mutter ihre Nähmaschine platziert. Dann folgte die Tür zum Wohnzimmer, und schließlich, links in der Eck der Kochherd. Gleich links neben der Küchentür befand sich auf einem metallenen Ständer, vor dem ein weißes Handtuch hing, die emaillierte Waschschüssel, gefolgt von einem Schränkchen, auf dem zwei Wassereimer standen.
Titelblatt des Einwohnerbuche von 1939 (Faksimile: Bewohner der Grünstraße 1)
Darüber war der Handtuchhalter angebracht, den ein weißes Übertuch mit blau gesticktem
Holländermotiv zierte.
Das Schönste in der neuen Küche, so empfand ich, war der Küchenherd. Er war aus Ofenkacheln errichtet, besaß neben der Herdplatte einen zweiflammigen Gasherd und hatte links in der Ecke einen kachelofenartigen Aufbau mit eingebauter Röhre. Im Winter, wenn es draußen sehr kalt war, setzte ich mich da drauf, hatte einen angenehm warmen Hintern und konnte, wenn ich die Röhrentür auf machte, auch noch meine Beine wärmen. Das war besonders angenehm, wenn ich vom Schlittschuhlaufen durchgefroren nach Hause kam.
Obwohl die neue Wohnung Fußbodenkalt, weil nicht unterkellert, und an den Außenwänden auch feucht war, fühlten wir uns doch recht privilegiert. Wir bewohnten sie bis 1950. Später hatte darin für eine gewisse Zeit noch die Sozialversicherung der DDR und nach der Wende auch noch die Allianz-Versicherung ihr Domizil. Heute bieten die leerstehenden Häuser der Grünstrasse 1 in ihrer Trostlosigkeit einen jammervollen Anblick und immer, wenn ich heute daran vorbeikomme, wird mir, in Erinnerung an meine Jugend, recht wehmütig ums Herz.
Grünstraße 1, großes Haus. Die ersten vier Fenster zur Straße und das eine zum Garten gehörten zu unserer Wohnung
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