BOMBERPULKS ÜBER GUBEN

Mit den zunehmenden Bombenangriffen alliierter Fliegerverbände auf deutsche Städte wurden auch in den Gubener Betrieben im Rahmen des Luftschutzes Brandwachen eingerichtet. Betriebsangehörige mussten reihum während der Nächte und an den Wochenenden solche Wachen übernehmen, um bei Bombenangriffen einsatzbereit zu sein und gegebenenfalls ausbrechende Brände im Werk wirksam zu bekämpfen. Solche Wachen gingen unter der Woche jeweils vom Feierabend bis zum Arbeitsbeginn des nächsten Tages und an den Wochenenden zweischichtig Sonnabend ab Arbeitsschluss bis Sonntag Mittag; und von Sonntag Mittag bis zum Arbeitsbeginn am Montagmorgen. Die Betriebe zahlten als materiellen Anreiz jedem Arbeiter für eine Nachtwache 5 und für eine Wochenendschicht 10 Reichsmark. Für uns Lehrlinge war das ein willkommener Zuverdienst und unser Betrieb hatte aus diesem Grunde nie Schwierigkeiten, die erforderlichen Wachgruppen zusammen zu bekommen.

Die Wachtätigkeit war auch nicht besonders anstrengend. Da Guben bis Ende 1944 von Bombenangriffen verschont blieb, konnte man ja, weil nichts besonderes geschah, schlafen und wurde dafür sogar noch bezahlt. Bei Fliegeralarm hätte man zu Hause auch aufstehen und in den Keller gehen müssen.
Es geschah an einem Sonntag im Sommer 1944. Ich hatte Brandwache im Betrieb während der ersten Wochenendschicht. Als wir am Sonntagmorgen aufstanden, breitete sich ein stahlend-blauer Himmel über der Stadt aus. Die Sonne schien warm und nur wenige weiße Wolken waren zu sehen.
„Das ist ja das idealste Flugwetter“, orakelte Günter, ein Schlosserlehrling, der gähnend aus dem Fenster unseres Wachraumes geschaut hatte, „da werden ja die feindlichen Bomberverbände wieder wie Heuschreckenschwärme über uns herfallen!“
„Male bloß den Teufel nicht an die Wand“, reagierte ein älterer Former, der zu unserer Gruppe gehörte, darauf unwirsch.
Es dauerte aber wirklich nicht lange, und das Sirenengeheul des 112. Fliegeralarms zerriss die morgendliche Stille. Im Radio wurde kurz danach bekannt gegeben, dass sich starke Bomberverbände im Anflug auf Berlin und andere deutsche Großstädte befänden. Uns ließ das alles relativ kalt, wussten wir doch aus Erfahrung; an Guben fliegen sie gewöhnlich vorbei!
Um so überraschter waren wir, als wir plötzlich, Anfangs noch schwach aber doch unüberhörbar und immer stärker anschwellend, Motorengeräusche vernahmen, so, als ob ein riesiger Schwarm Hummeln auf uns zu kam. Aufgeschreckt begaben wir uns auf den Fabrikhof, und da waren sie auch schon zu sehen. Alliierte Bomber flogen genau über uns hinweg, um irgendwo im Südosten ihre todbringende Last abzuladen. Wie auf einer Parade in Formation fliegend, zog Welle um Welle, im Sonnenlicht gleißend, in großer Höhe, unbehelligt ihre Bahn. Weder Flak-Abwehr noch Jagdflieger störten ihren Flug.
Instinktiv duckten wir uns, obwohl wir uns der Unsinnigkeit dieser Reaktion sofort bewusst wurden. Wie gebannt schauten wir auf dieses imposante ,Schauspiel‘, das wir am Anfang des Krieges schon oft in Wochenschauen, aber da von deutsche Bomberverbänden geboten, gesehen hatten. Die jetzt erlebte Wirklichkeit war grauenerregender, weil lebensbedrohlicher und ließ wegen der Anonymität des Massenmordens den ganzen Widersinn des Krieges spüren.
Guben wurde damals nur überflogen. Aber dieses damals erlebte Gefühl des gnadenlosen Ausgeliefert seins werde ich mein Leben lang nicht vergessen!
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