REICHSARBEITSDIENST*

Als der Zug in Doberlug-Kirchhain, unserem Zielbahnhof, hielt, war es eine stattliche Truppe, die sich, bepackt mit Koffern, Taschen oder Kartons, vor dem Bahnhof sammelte.

Ein Feldmeister, eine Führerpersönlichkeit des RAD, erkennbar an seiner Uniform, ließ seine Stimme erschallen: „Alles mal herhören! Wer zum RAD-Lager nach Lindena will, hier sammeln! – – Was ist denn hier los. Wir sind doch kein Hammelhaufen. In Linie zu 3 Gliedern angetreten, marsch, marsch! Jeder legt sein Gepäck ordentlich vor sich ab!“
Es dauerte eine Zeit, bis sich die Truppe formiert hatte.
Danach nahm der Feldmeister noch einmal das Wort und gab bekannt: „Wir warten noch auf den Zug, der in einer halben Stunde aus Richtung Berlin-Lübben ankommt und marschieren dann gemeinsam zur Unterkunft! Noch Fragen!? Wenn nicht, weggetreten!“
Als sich die später angekommenen endlich auch formiert hatten, war erneut die Kommandostimme des Feldmeisters zu vernehmen: „Gepäck aufnehmen! Rechts um! Ohne Tritt marsch!“
Unsere Kolonne, etwa 80 Mann, setzte sich, zuerst noch holpernd, aber dann immer disziplinierter, in Bewegung. Schließlich marschierte unsere Truppe, mit einem zackigen Marschlied auf den Lippen, zügig ihrem Ziel entgegen.
Der Marsch dauerte gut 45 Minuten. Lindena lag etwa zweieinhalb Kilometer von Doberlug-Kirchhain entfernt. Das Lager lag östlich von Lindena zwischen mehreren kleinen Seen. Ein Maschendrahtzaun umschloss das Gelände, auf dem um den Appellplatz herum eine große und mehrere kleine Baracken standen. Hinter den Baracken konnte man auf ein weiträumiges Gelände sehen, das, wie sich später herausstellte, unserer vormilitärischen Ausbildung diente.
Zuerst wurde die Anwesenheit festgestellt. Der Feldmeister, der uns hergeführt hatte, verlas von einer Liste Namen um Namen und jeder von uns quittierte den Aufruf seines Namens mit einem zackigen „Hier!“
Dann ging es in unsere Unterkunftsbaracke.
In der Mitte des saalartigen Raumes war Stroh ausgebreitet und mit Zeltbahnen abgedeckt. Unsere Schlafstätte für die kommende Zeit! Wir lagen in zwei Reihen mit den Füßen zum Mittelgang. Zum Zudecken gab es pro Person eine kratzige Decke. An den Kopfseiten stand für jeden ein Hocker zum Ablegen der eigenen Sachen, wenn es zur Nachtruhe ging. Dahinter Kommisschränke, immer einer für zwei Mann, zum Unterbringen der Wäsche, der Bekleidung, der Toilettensachen und der Ausrüstungsgegenstände, sowie der Verpflegung.
Nachdem wir unsere Koffer und Schachteln abgestellt hatten, mussten wir vor der Baracke in Linie zu einem Glied antreten. Mit knarrender Stimme ließ uns der Feldmeister wissen: „Ihr werdet jetzt eingekleidet und erhaltet auch eure Ausrüstungsgegenstände. Zu diesem Zweck werdet ihr im Dauerlauf hier um das Karree traben und immer, wenn ihr an der Bekleidungsbaracke vorbei lauft, bekommt ihr ein Stück zugeworfen. Wenn alle Sachen ausgeteilt sind, machen wir Vollzähligkeitsappell. Alles klar??? Dann, rechts um, im Abstand von einem Meter im Laufschritt, marsch, marsch!!!“
Der Zirkus begann.
Erste Runde: Uns flatterte eine Uniformhose entgegen. Zweite Runde: Ein Stahlhelm kam im hohen Bogen angeflogen. Dritte Runde: Wir hatten einen Brotbeutel aufzufangen. Vierte Runde: Ein Koppelschloss sauste auf uns zu.
So ging es weiter, Runde um Runde! Immerhin gehörten zur Ausrüstung eines Arbeitsdienstmannes etwa 30 verschiedene Gegenstände.
Zuerst ging alles noch recht geordnet zu. Die ersten fünf, sechs Gegenstände konnte man ohne Schwierigkeiten auffangen und beim Laufen um den Platz einigermaßen sicher verstauen. Doch dann begann es problematisch zu werden. Ich hatte mir zum Beispiel meinen Stahlhelm am Kinnriemen wie einen Korb an den Arm gehängt und darin kleinere Gegenstände verstaut. So bekam ich die Hände etwas frei, um Neues besser aufzufangen. Einige hatten sich ihr Hemd aufgeknöpft und Sachen hineingestopft. Andere wieder hatten sich das Koppel umgeschnallt und Teile in den angeknöpften Brotbeutel getan, oder die Uniformjacke angezogen und Gegenstände in den recht großen Taschen verstaut.
Jedenfalls war es grotesk anzuschauen, wie wir, in unterschiedlichster Art mit Uniformteilen und Ausrüstungsgegenständen behangen, zum Gaudi der Ausbilder, um den Appellplatz hechelten, auf dem dazu noch eine Unmasse verlorener Sachen verstreut herumlagen.
Endlich war alles ausgegeben.
Wenn wir nun geglaubt hatten, der Zirkus sei zuende, so hatten wir uns gewaltig geirrt. Er war lange noch nicht zuende, er verlagerte sich nur in eine andere Arena.
Wir rückten in unsere Unterkunft ein, um uns auf den Vollzähligkeitsappell vorzubereiten. Vorher wurden noch die auf dem Appellplatz herumliegenden Sachen in eine Zeltplane gesammelt, in die Baracke gebracht und an die verteilt, die sie verloren hatten. Wir hatten Glück, es fehlten nur zwei Teile: ein Koppelschloss und eine Kragenbinde. Ob sie wirklich verloren, oder aus Schikane bewusst nicht ausgegeben worden waren, wer kann das wissen?
Jedenfalls brachten die fehlenden Gegenstände unserer Gruppe zwei Strafrunden um den Appellplatz ein.
Danach erhielten wir den Befehl, unsere Uniformen anzuprobieren. Das war notwendig, denn die Uniformteile waren ja willkürlich an uns verteilt worden. So hatte unter Umständen ein Großer viel zu kleine und ein Kleiner viel zu große Sachen erhalten. Also musste untereinander getauscht werden.
War das ein Durcheinander!
Endlich hatten wir auch das glücklich bewerkstelligt. Da unsere Gruppe aber nicht ganz dem statistischen Durchschnitt entsprach, nach dem von der Kleiderkammer die Sachen ausgegeben worden waren, bekam einer mit zu dickem Kopf seinen zu kleinen Stahlhelm nicht mit einem passenden getauscht. Da auch nicht genügend Hosen in kleinen Größen und große Jacken vorhanden waren, trat einer unserer Kleinen in einer viel zu weiten Hose, und ein etwas kräftig gebauter in einer viel zu engen Jacke, zur Belustigung aller anderen, zum Appell an. Nachdem sie von unseren Ausbildern deswegen gehörig verscheißert worden waren, durften sie sich in der Kleiderkammer einigermaßen gut sitzende Sachen verpassen lassen.
Völlig geschafft hauten wir uns nach dem Zapfenstreich auf unser Nachtlager. Einige hatten nach diesem ersten Tag beim RAD sicher schlimme Albträume, allen aber grauste vor dem kommenden Tag und dem, was uns dort erwarten würde. Und so wie ich, wird diesen ersten Tag beim RAD sicher keiner von uns in seinem Leben je vergessen können!
Aber auch die weitere Ausbildung mit ihrem preußischen Drill und den sadistischen Nichtswürdigkeiten unserer Ausbilder stellte an jeden von uns hohe Anforderungen und ging oft bis an die Grenze der physischen und psychischen Belastbarkeit. Wir leisteten quasi unsere Rekrutenzeit – also die militärische Grundausbildung mit all ihren oft menschenverachtenden Schikanen – bereits beim RAD ab. Unsere Ausbilder hatten sichtlich ein sadistisches Vergnügen daran, uns zu triezen. Sie nannten es hämisch Menschenmaterial formen, für uns war es ganz einfach Leuteschinderei!
Wenn zum Beispiel unser Ausbilder seine sadistischen Anwandlungen bekam, dann ließ er uns, einen Grund fand er immer, Kniebeugen nach Zeit oder Liegestütze mit Klatscheinlage machen, beziehungsweise im Entengang watscheln. Dabei mussten wir im Chor, nach dem Takt seiner Trillerpfeife, solch sinnloses Zeug aufsagen, wie:
-Wir können nichts!
-Unteroffiziere verscheißern!
-Alten Frauen den falschen Weg weisen!
-Und beten jeden Tag zum lieben Gott, dass uns der Blitz beim Kacken treffen möge!
Früh um 6.00 Uhr war Wecken. Anschließend ging es sofort in Sportkleidung zum Frühsport. Im Februar war es um diese Zeit noch dunkel und auch empfindlich kalt. Noch schlaftrunken torkelnd und vor Kälte bibbernd umrundeten wir anfangs den kleinen See, der sich auf dem Gelände des Lagers befand. Eine andere Gruppe tat das auch; nur lief sie in entgegengesetzter Richtung um den See. Auf halbem Wege rannten wir aneinander vorbei. Aber erst nach einer ganzen Weile kam noch ein Einzelner angeschnauft. Es war, wie ich im Halbdunkel erkennen konnte, mein Freund Manfred aus Guben. Ich winkte ihm beim Vorbeirennen kurz zu, aber er erkannte mich nicht. Nach Dienstschluss trafen wir uns danach öfter. Dabei sprachen wir auch über die Ausbildungs-methoden beim RAD und über den Frühsport.
„Weißt du“, berichtete mir Manfred dabei, „ich bin immer regelrecht deprimiert, wenn ich eurer Gruppe beim Frühsport begegne. Ihr saust ja wie ein Blitz an mir vorbei. Ich bin wegen meines langsamen Laufens bei meinen Ausbildern schon in Ungnade gefallen und meine Kameraden haben auch einen Rochus auf mich, weil sie dadurch bereits eine Menge Unannehmlichkeiten hatten. Aber was soll ich machen! Mit meinen kurzen Beinen bin ich nun mal nicht so schnell. Auch meine Lunge pfeift vom vielen Rauchen und ich bekomme schnell Seitenstechen.“
Obwohl er sehr zerknirscht tat, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob das alles nur Scheinargumente waren und er sich in Wirklichkeit bewusst in diese Außenseiterrolle bringen wollte.
Die Morgentoilette wurde grundsätzlich am Ufer des kleinen Sees gemacht. Dazu musste anfangs öfter vorher das Eis aufgeschlagen werden.
A b h ä r t e n , hieß die Parole!
Eines Morgens pfiff mich der Feldmeister an: „Krause! Wollen sie etwa so unrasiert zum Dienst erscheinen?“
Erst wusste ich gar nicht, was er meint. Doch dann wurde mir klar: Ihn störte der erste blonde Pubertäts-Flaum, der sich bei mir wie ein Pelzchen auf Wangen und Oberlippe ausbreitete, und den nahm er zum Anlass, um wieder einmal eine seiner kleinen Gehässigkeiten anbringen zu können. Da ich keinen eigenen Rasierapparat besaß, schabte ich mir das bisschen ‚Ansatz von Männlichkeit‘ mit einem geborgten aus dem Gesicht.
Was ich schon in der Schule nicht gut gekonnt, und deshalb auch nicht gerne gemacht habe, war Keulenweitwurf. Die Keule entsprach dabei der hölzerne Nachbildung einer Stielhandgranate, die am hinteren Ende mit einem Eisenring versehen war, um das entsprechende Gewicht zu bekommen.
Beim RAD war die Handgranate und ihre Handhabung ein breites Feld des militärischen Drills.
Unser Ausbilder hatte einen richtigen Narren daran gefressen, uns zu diesem Thema gründlich zu schulen. Mir klingt noch heute im Ohr, wie er, beinahe ehrfurchtsvoll, seine Litanei herunter betete: „Hört zu Leute! Die Handgranate, egal ob Stiel- oder Eierhandgranate, ist, richtig genutzt, eine wirksame Waffe im Nahkampf....“
Wir staunten nicht schlecht, was man alles damit anstellen konnte und was es bei ihrer Handhabung alles zu beachten galt. Da waren zum Beispiel die verschiedenen Verzögerungszünder. Als Regel galt: Abziehen, 21-22-23 zählen, werfen!
Werfen konnte man die Handgranate aus der Stellung im Stehen, Knien und Liegen; und aus der Bewegung heraus. Es war auch möglich, mehrere Handgranaten miteinander zu verbinden; als gestreckte Ladung, um Lücken in Drahtverhaue zu sprengen, oder als geballte Ladung, um Bunker oder Panzer zu bekämpfen.
Um uns vor feindlichen Handgranaten zu schützen, sollten wir sie, wenn möglich,
- zurück werfen, um den Feind mit den eigenen Waffen zu schlagen
-in einen benachbarten Granattrichter werfen, um ihrer Splitterwirkung zu entgehen, oder
-selbst in einen anderen Granattrichter springen.

Natürlich gab unser Ausbilder bei solchen Schulungen auch einige Storys aus seiner Landserzeit zum Besten.
Eine, die er besonders gerne erzählte, um von uns bewundert zu werden, ging so: „Als ich Rekrut war, demonstrierte uns unser Unteroffizier einmal die Wirkung einer Handgranate, indem er einen Stahlhelm in sicherer Entfernung hinlegte, die Granante zündete, auf dem Stahlhelm stellte und dort detonieren ließ. Zu unserer Überraschung gingen die Splitter nach oben weg und der Stahlhelm blieb völlig unbeschädigt. In unserem Übermut schlossen wir Wetten darüber ab, ob es sich einer trauen würde, mit dem Stahlhelm auf dem Kopf die Handgranate zu zünden. Ich war so leichtsinnig, mich auf dieses gefährliche Experiment einzulassen. Ich hatte Dusel. Mir ist damals nichts passiert. Mich plagten hinterher nur dolle Kopfschmerzen!“
Wir hatten beim RAD Anfang 1945 nur noch Übungshandgranaten zur Verfügung. Bestimmt wäre sonst auch unter uns einer gewesen, der einen solchen Unsinn ausprobiert hätte.
Der krönende Abschluss solcher Ausflüge in die preußische Exerzier- und Ausbildungsordnung war ihre praktische Übung im Gelände. Dazu gab es im hinteren Teil des Exerzierplatzes eine entsprechende Anlage. Vor einem Schützengraben, der dort ausgehoben worden war, befand sich ein imitiertes Trichterfeld. Unsere Gruppe wurde mit Übungshandgranaten ausgerüstet und aufgeteilt. Im Wechsel ging eine Gruppe in den Graben und die andere verteilte sich davor in den Granattrichtern. Dann spielten wir Angriff und Verteidigung und bewarfen uns dabei gegenseitig mit den Übungshandgranaten, um das vorher gelernte zu trainieren.
Als meine Gruppe aus dem Trichterfeld heraus den Schützengraben stürmen musste, hielt ich mich anfangs sicherheitshalber in den hinteren Trichtern auf, denn von so einer Übungshandgranate mit Eisenring getroffen zu werden, war sicher recht schmerzhaft. Leider fiel das auch unserem Ausbilder auf.
„Nun seht euch doch dieses feige Arschloch, den Krause an !!“, brüllte er aufgebracht, und wütend forderte er die Schützengrabenbesatzung auf: „Ab jetzt werft ihr nur noch auf den!!!“
Es war mein Glück, dass das am Ende der Übung passierte. Die Gruppe im Schützengraben hatte nur noch drei Handgranaten. Aber die drei kamen auf mich zugeflogen!
Die erste konnte ich aus dem Trichter, in dem ich lag, hinauswerfen. Die zweite traf mich am vorderen Rand meines Stahlhelms, so dass er mir vor die Augen rutschte und ich nichts mehr sah. Ich sprang trotzdem, so wie es uns eingebläut worden war, in den benachbarten Trichter, um mich zu schützen. Aber genau dort hin flog die dritte. Deshalb konnte ich ihr nicht mehr ausweichen. Sie knallte mit voller Wucht auf meine rechte Wade. Später sagte mir mein Gruppenkamerad, der die letzte Granate geworfen hatte: „Werner, ich wollte dich nicht treffen. Ich habe die Handgranate genau in den Nebentrichter geworfen. Dass du gerade da hineingesprungen bist, war dein persönliches Pech!“
Obwohl es verdammt weh tat, verkniff ich mir den Schmerz, und nahm, so, als ob nichts gewesen wäre, weiter an der Ausbildung teil. Wenn ich schon als Feigling bezeichnet worden war, so wollte ich nicht auch noch als Memme gelten. Abend besah ich mir den Schaden. Außer einer kleinen Abschürfung und einem blauen Fleck war nichts zu erkennen.
Ein paar Tage später sah der Dienstplan ‚Exerzieren des Parademarsches‘ vor. Welch sinnloses Tun angesichts der miesen Lage an den Fronten.
Wir standen in Reih und Glied und scharrten abwechselnd mit der linken und der rechten Stiefelspitze im Schotter des Exerzierplatzes, um anschließend das jeweilige Bein mit gestreckten Zehen nach vorn zu schleudern und dabei einen genauen Winkel von 80º einzuhalten.
Bei dieser Prozedur schmerzte mein rechtes Bein, welches von der Übungshandgranate lädiert worden war, so arg, das ich es kaum noch aushalten konnte. Das fiel auch unserem Ausbilder auf.
„Krause, was hast du, ist dir nicht gut, du bist ja ganz blass?“
„Feldmeister, ich habe Schmerzen im rechten Bein. Ich kriege es kaum noch hoch.“
„Dann mach, dass du zum Sani kommst. Er soll sich die Sache mal ansehen.“
Der Sani befühlte die Stelle und holte dann eine Pinzette. Dann forderte er: „So, nun beiße mal die Zähne zusammen!“ und ehe ich es mir versah, hatte er mir mit der Pinzette den Grind herunter gerissen. Dicker Eiter quoll aus der Wunde.
„Na, da hast du dir ja eine schöne Zellgewebeentzündung eingefangen“, kommentierte der Sani die Sache, während er die Wunde säuberte. Dann nahm er Verbandsmull und begann, das vom Eiter gefressene Loch in der Wade damit auszustopfen. Seine Bemerkung: „Jetzt wird es noch mal ein bisschen Weh tun!“ fand ich wirklich unangebracht, denn die Prozedur schmerzte so, dass mir die Tränen in die Augen traten.
Jeden zweiten Tag wiederholte sich das Ganze. Es war für mich jedes Mal eine Qual, wenn der Sani den Mull wechselte. Aber etwas Gutes hatte die Sache doch; die restlichen 14 Tage beim RAD brauchte ich keinen Dienst mehr mitmachen. Wenn unsere Truppe gedrillt wurde, lag ich mit anderen Leidensgenossen auf einem Stapel alter Wehrmachtszelte und ließ mich von der schon recht warmen Märzsonne bescheinen.
Obwohl die Verletzung noch nicht verheilt war, wurde ich zur Wehrmacht eingezogen. Auch dort und auch noch während der Gefangenschaft wollte sich das Loch in der Wade nicht schließen. Ich hatte mich reichlich mit Verbandspäckchen eingedeckt und konnte so die Wunde die gesamte Zeit über verhältnismäßig gut versorgen. Aber sie eiterte weiter und es stank um mich herum stets nach fauligem Fleisch.
Doch ich war kaum 3 Tage aus der Gefangenschaft zu Hause – es grenzte fast an ein Wunder – schloss sich die offene Wunde. Zurückgeblieben ist nur eine ansehnliche Narbe.

*Reichsarbeitsdienst. Abk. RAD. Eingeführt mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz vom 26. 6. 35. Halbmilitärische Organisation im fasch. Deutschland, in der männliche und weibliche Jugendliche vom vollendeten 18. bis zum 25. Lebensjahr ein halbes Jahr Zwangsarbeitsdienst für ein Taschengeld leisten mussten. Symbol: Spaten und Ähren. Eigene Uniform. Kopfbedeckung: RAD-Schute, genannt: Arsch mit Griff. Die Führer nannten sich Feldmeister. Neben der Arbeit straffer Drill. Exerzieren mit dem Spaten; Schultern, Präsentieren. Massenaufmärsche mit blitzenden, geschulterten Spaten. Während des Krieges wurde das Eintrittsalter bei der männlichen Jugend auf 16 Jahre herabgesetzt, und der Dienst voll auf die militärische Ausbildung ausgerichtet.
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