IM STADTTHEATER

Mit 15 Jahren war ich das erste Mal im Gubener Stadttheater. Für 50 Pfennig leisteten wir, mein Freund Karl und ich, uns einen Stehplatz im 4. Rang und sahen uns die Operette Maske in Blau an.

Es war recht anstrengend, die gesamte Aufführung stehend zu erleben. Auch die Wärme und der Mief unter dem Theaterdach machten uns allen zu schaffen, die wir die billigsten Plätzen innehatten. Dabei konnten wir uns noch glücklich schätzen, dass wir einen Platz an der Brüstung ergattert hatten. Von dort war wenigstens das vordere Drittel der Bühne einzusehen. Nur einen Schritt weiter zurück, und selbst das wäre uns nicht gelungen. Wer im Stehparkett nur noch einen Platz in den hinteren Reihen bekam, für den war ja, wegen der schlechten Akustik dort oben, sogar das Hören beschwerlich.

Vor dem Gubener Stadttheater auf der Freitreppe zur Neiße 1941
Uns machte die ganze Sache aber Spaß und so waren wir öfter im Theater zu finden. Heute würden wir sagen: Wir waren Theater-Fans geworden.
Der Theaterring der HJ ermöglichte es uns sogar, Aufführungen, wie ‚Was ihr wollt‘, ‚Der Vetter von Dingsda‘ und andere unterhaltsame Stücke, verbilligt auf besseren Plätzen zu erleben. Das waren meist Matinee-Veranstaltungen am Sonntag Vormittag. Viele Jugendliche erschienen zum Theaterbesuch in der Uniform der Hitlerjugend. Uns wäre das nicht im Traum eingefallen. Uns reichte es schon, das wir zwei Mal in der Woche abends zum Dienst bei der Pflicht-HJ mussten. Da wollten wir den Theaterbesuch nicht auch noch zum HJ-Dienst degradieren.
Wenn wir ins Theater gingen, dann machten wir uns fein, egal ob privat oder beim Theater-Ring der HJ. In gewisser Weise opponierten wir sogar gegen den HJ-Zwang, wenn wir in blauem Einsegnungsanzug, dunklem Mantel und weißem Schal ins Theater kamen, wo die meisten anderen in Uniform waren.
Wir begaben uns damit bewusst in eine Außenseiterrolle. Deshalb ärgerte es uns auch nicht, als uns nach einem Theaterbesuch einige Hitlerjungen, sicher angestachelt von ihrem Scharführer, abfällig Tango-Bubis nannten. Ganz im Gegenteil, wir waren sogar ein wenig stolz auf uns.
Wir fanden es sehr schade, als unser Theater 1944, wegen des Krieges, seine Pforten schließen musste.
vorherige SeiteSeite 82 von 164nächste Seite