SOLIDARITÄT

An einem Sonnabend war ich mit meinen Freunden Manfred, Wolfgang und Ernst in der Gaststätte Kupferhammer.

Gaststätte „Kupferhammer“
Der Tanzsaal befand sich hinter dem Gastraum. Er war fast quadratisch. An der Rückseite war die Bühne, auf der die Kapelle saß. Eine breite Fensterfront zum Garten erhellte den Saal am Tage. Abends versuchten Wand- und Deckenleuchten den wallenden Dunst aus dem Mief schwitzender Leiber und dem Qualm stinkender Glimmstängel zu durchdringen. Die Tische standen etwas erhöht um die Tanzfläche herum.

Wir hatten unseren Platz unter der Bühne gefunden. Von dort besaßen wir einen guten Überblick und konnten auch schnell die Mädchen erreichen, mit denen wir tanzen wollten. Bei den Mädchen, die gut tanzen konnten, war der Andrang groß, und man musste schnell über den Saal flitzen, um die Auserwählte auch zu ergattern. Es kam schon mal vor, dass wir vergebens starteten. Dann setzten wir uns lieber wieder auf unseren Platz und sahen den anderen beim tanzen zu, anstatt ein Mädchen zu holen, welches schlecht tanzte. Umgekehrt kam es auch schon mal vor, dass ein Mädchen lieber schnell mit ihrer Freundin tanzte, als sich von einem schlechten Tänzer auf den Füßen herumtreten zu lassen; oder es wurde, wenn es gar nicht anders ging, auch hin und wieder mal ein Korb verteilt. Es hatten sich also damals auf den Tanzsälen bestimmte Riten herausgebildet, die von den meisten auch anerkannt und respektiert wurden.
An diesem Abend nun geschah etwas, worüber wir sehr erbost waren. Als die Musik zu einem Schieber ansetzte, fasste sich ein Heimkehrer mit kahlgeschorenem Haupt – schüchtern und etwas linkisch – ein Herz und forderte ein recht hübsches Mädchen auf, welches uns wegen seiner arroganten und schnippischen Art schon aufgefallen war. Das Mädchen tat recht abfällig und gab dem Jungen nur aus dem Grunde einen Korb, weil er eine Glatze hatte. Das war unschwer zu erkennen, denn dem Jungen, der sie gleich danach aufforderte, folgte sie ohne zu zögern auf den Saal und tanzte mit ihm.
Der abgewiesene glatzköpfige Heimkehrer verließ mit hochrotem Kopf die Tanzfläche und begab sich in den Schankraum, um mit einem Alkolat* seinen Ärger hinunterzuspülen.
„Na, schaut euch doch diese blöde Ziege an“, entrüstete sich Manfred, „der Heimkehrer mit der kahlen Bombe ist ihr wohl nicht fein genug!!??“
Wir nahmen uns des zurückgewiesenen an und waren bemüht, ihn moralisch wieder aufzurichten. Es dauerte auch nicht lange und er hatte seine Blamage verwunden. Nun berieten wir gemeinsam was zu tun sei, um dem Mädchen für sein ungebührliches Verhalten eine Lektion zu erteilen.
Unser Plan war einfach aber wirkungsvoll!
Als die Kapelle zum nächsten Tanz aufspielte, machte sich ein anderer kahlgeschorener Heimkehrer, den wir eingeweiht hatten, auf den Weg, um das besagte Mädchen aufzufordern. Wie wir erwartet hatten, bekam er ebenfalls einen Korb. Sofort begab sich Manfred als nächster zu dem Mädchen, um sie zum Tanz aufzufordern. Sie fiel auf unsere Hinterlist herein und folgte Manfreds höflichem: „Darf ich bitten?“
Als beide mitten auf der Tanzfläche waren, bildeten wir einen Kreis um das Paar. Auch alle anderen hörten auf zu tanzen und verdichteten den Ring um Manfred und seine Partnerin. Auf ein Zeichen von uns brachten die beiden Heimkehrer einen Stuhl auf den Tanzboden und stellten ihn vor das Mädchen, welches ihnen vorher die Körbe gegeben hatte. Manfred setzte die Widerstrebende mit Gewalt auf den Stuhl, und unter dem Gejohle des ganzen Saales musste sie den Stuhl vom Parkett tragen.
Das Mädchen verschwand an diesem Abend aus dem Lokal. Wir haben sie später öfter wiedergesehen; aber Körbe hat sie keine mehr verteilt.

* Das war der Alkoholersatz der damaligen Zeit
vorherige SeiteSeite 119 von 164nächste Seite