DIE BLECHTROMMEL

Als ich zu meinem fünften Geburtstag eine Blechtrommel geschenkt bekam, freute ich mich sehr. Eine solche Trommel zu besitzen, war schon lange mein Wunschtraum gewesen. Jetzt war er in Erfüllung gegangen.

Es war eine ganz einfache Trommel aus Blech und so klang sie auch. Doch für mich war der Klang himmlisch.
Sie war auch schön bunt bemalt. Dort, wo bei einer richtigen Trommel die Trommelfelle sind, war sie weiß. Die angedeuteten Spannringe waren mit weiß-roten Dreiecken verziert und der Trommelrahmen war blau. An zwei Ösen war eine Schnur befestigt, damit ich sie mir zum trommeln umhängen konnte.
Die Trommelstöcke aus Holz waren kurz und dick, gut zu packen von einer kleinen Kinderhand und kräftig im Schlag.
Meine Mama hatte beim Kauf der Trommel Bedenken gehabt, dass ich damit zu viel Krach machen könnte. Mein Papa teilte diese Bedenken nicht. Ihm war es egal, wie groß der Krach war, er hörte ja schwer.
Natürlich durfte ich die Trommel an meinem Geburtstag ausprobieren. Ich trommelte in unserer Stube, was das Zeug hielt, bis es meiner Mama zuviel wurde und sie mir Einhalt gebot.
„Junge“, sagte sie genervt, „für heute ist genug getrommelt worden. Morgen kannst du damit draußen trommeln, da störst du niemanden.“
Ich folgte nur ungern der Aufforderung meiner Mama. Immer wieder versuchte ich heimlich, meiner Trommel ein paar blecherne Töne zu entlocken. Schließlich platzte meiner Mama der Kragen und sie legte die Trommel, für mich unerreichbar, auf den Schrank.
Ich konnte den nächsten Tag kaum erwarten. Doch bis Mittag hatte ich keine Gelegenheit, die Trommel zu schlagen.
Bevor meine Eltern nach dem Mittagessen zur Spätschicht nach Guben fuhren, gab mir Mama die Trommel und ermahnte mich noch mal: „Du kannst trommeln, aber versprich mir, dass du es nur draußen tust. Und zum Dunkelwerden bist du wieder hier, damit Tante Voigt dir Abendbrot geben und dich ins Bett bringen kann.“
„Ja, ja, Mama, das mache ich!“, versprach ich ihr, schon ungeduldig darauf wartend, dass ich endlich mit meiner Trommel losgehen konnte.
Es war ein wunderschöner Nachmittag. Selig meine Trommel schlagend, marschierte ich die Dorfstraße entlang, bog auf Feldwege und trat das Gras auf Feldrainen nieder. Das blecherne Geschepper meines Instruments klang in meinen Ohren wie die schönste Marschmusik. Völlig meiner Trommelei ergeben, vergaß ich Raum und Zeit. Die Zeit verging wie im Flug und ich merkte im Überschwang der Gefühle nicht, dass der Abend nahte. Es war schon lange dunkel, als ich müde aber glücklich endlich wieder zu Hause war.
Ein wenig plagte mich das schlechte Gewissen, doch mit dem Gedanken: ‚Ach, vielleicht ist es noch gar nicht so spät‘, versuchte ich es zu beruhigen.
Ich ging, meiner Sache völlig sicher, durch die dunkle Veranda zur Haustür. Sie ließ sich nicht öffnen. Unsere Wirtsleute hatten schon zugeschlossen.
Nun war ich doch erschrocken!
Nachdem sich der erste Schreck gelegt hatte, überlegte ich, was zu tun sei.
‚Na, gut‘, dachte ich, ‚wenn du nicht ins Haus kommst, dann legst du dich eben so lange in die Veranda, bis Mama und Papa von der Arbeit kommen‘.
Ich legte mich also auf die Bank, die in der Veranda stand, um ein wenig zu schlafen. Meine Trommel hatte ich dabei fest an mich gepresst.
Ich befand mich in der Phase zwischen wachen und schlafen und wurde gar nicht richtig gewahr, dass Tante Voigt die Haustür aufschloss. Sie packte mich beim Schlafittchen, zog mich hoch und versetzte mir ein paar kräftige Ohrfeigen, dass ich Sterne sah und die Engel im Himmel singen hörte.
„Verdammter Bengel“, sagte sie wütend, „wir machen uns Sorgen, wo du bleibst, und du tust so, als ob es dich gar nichts angeht. So eine Unverfrorenheit! Legt sich dieser Schlawiner einfach in die Veranda und schläft. Du kannst wohl gar nicht hören, was deine Eltern dir sagen?!“
Verdattert ließ ich die Strafpredigt über mich ergehen. Auch die Backpfeifen rührten mich im Moment wenig. Zur Entschuldigung fand ich vor Aufregung keine Worte. Auch, dass ich ohne Abendbrot ins Bett musste, war mir egal. Meine größte Sorge war, ob mir meine Mama wegen meiner Verfehlung die Trommel wegnehmen wird oder nicht?
Selbst im Traum verfolgte mich diese Sorge. So kämpfte ich mit allerhand Monstren und Geistern, die es alle auf meine Trommel abgesehen hatten, und ich rannte hinter meiner Trommel her, die einen steilen Abhang hinunter rollte, doch ich konnte und konnte sie nicht erreichen.
Als ich Schweiß gebadet aus meinem Alptraum erwachte, waren meine Eltern gerade von der Arbeit zurückgekommen.
„Du machst uns ja schönen Ärger“, sagte meine Mama vorwurfsvoll zu mir, „auf dich ist ja gar kein Verlass. Wenn du dich nicht änderst, müssen wir dir die Trommel wohl wieder wegnehmen!“
Meine Mama musste sich dabei anstrengen, ernst zu bleiben, denn unsere Wirtsleute, die im Grunde genommen überhaupt nicht richtig auf mich böse gewesen waren, hatten ihr meine Missetat belustigt geschildert. Wie sie sagten, hatten sie sich selber köstlich darüber amüsiert, wie gelassen ich auf die verschlossene Haustür reagiert hätte, und dass meine größte Sorge die Trommel gewesen war.
Meine Mama war also nicht wirklich verärgert, sondern eher erheitert.
Aber ein klein wenig Strafe musste sein: Zwei Tage durfte ich nicht trommeln.
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