UNVERHOFFTER BESUCH

1934 arbeiteten meine Eltern in Guben im gleichen Betrieb, in der Tuchfabrik F.W.Schmidt. Mama war Kremplerin und Papa Maschinenputzer. Sie fuhren täglich mit dem Fahrrad die sieben Kilometer von Wallwitz nach Guben und zurück. Im Betrieb wurde Tagschicht von 6.00 bis 14.00 Uhr und Spätschicht von 14.00 bis 23.00 Uhr gearbeitet. Der Betrieb hatte der Bitte meiner Eltern stattgegeben, dass beide in der gleichen Schicht arbeiten konnten. So war es ihnen möglich, stets gemeinsam zur Arbeit zu fahren. Allein hätte Mama Angst gehabt, nachts, nach Beendigung der Spätschicht, mit dem Fahrrad nach Hause zu fahren.

Unsere Wirtsleute kümmerten sich um mich, wenn meine Eltern in der Fabrik waren.

Mama (sitzend) und Tante Trude auf dem Hof
Eines Tages, meine Eltern waren zur Tagschicht, kam ganz unverhofft Tante Trude aus Sommerfeld zu Besuch. Ich spielte auf dem Hof, als sie ankam. Sie war meine Lieblingstante und ich freute mich sehr, denn sie brachte mir immer etwas Schönes mit. Nach dem sie mich liebevoll begrüßt hatte, fragte sie: „Werner, ist Mama oben?“ „Nein, Tante Trude, Mama und Papa sind zur Arbeit und kommen erst am Nachmittag nach Hause“, gab ich zur Antwort.
„Ich will deine Mama über-raschen“, sagte sie geheimnisvoll, „deshalb darfst du ihr nicht sagen, dass ich hier bin, wenn sie von der Arbeit kommt.“
„Au, ja, wir erschrecken Mama, wenn sie kommt“, war ich Feuer und Flamme.
„Nein, nein, nicht erschrecken, überraschen will ich deine Mama. Sie weiß ja nicht, dass ich zu Besuch komme“, dämpfte sie etwas meinen Übermut, „und deshalb darfst du ihr nichts verraten.“
„Ich sage Mama nicht, dass du hier bist“, versprach ich meiner Tante hoch und heilig.
Ich schaute zufällig aus dem Fenster, als meine Eltern von der Arbeit kamen.
„Mama, Mama“, rief ich ihr aufgeregt entgegen, „Tante Trude ist nicht hier!!!!“
So hielt ich zwar mein Versprechen, vereitelte aber dennoch die Überraschung des unverhofften Besuchs.
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